MARTELL BEIGANG

Musical Matrix

rad 2022-2

 

Lucy Flournoy heißt die begnadete Tänzerin in dem Video "Gigue Marche“
Gedreht mit einer statischen Kamera in einem Take,
den die Tänzerin selbst mit 2 Handlampen ausleuchtet.
 
Film by Freund / Agentur Für Bewegtbild 
 
 

„Mit Musical Matrix habe ich etwas sehr Persönliches kreiert, Musik, wie ich sie schon ganz früh in mir gehört habe. Erst jetzt hatte ich die Muße und den Mut, sie umzusetzen und nur auf mich selbst zu hören. Dadurch ist etwas sehr Konsequentes entstanden.“

 

Sagt Martell Beigang, Komponist, Schlagzeuger und mehr, und bringt damit im gleichen Atemzug etwas über die Kraft der Gelassenheit zum Ausdruck, über das Profil seiner neuen Platte und über sich selbst, als Kern und Essenz seiner Musik. Subtexte.

 

Musical Matrix – Dix Danses Acoustiques ist ein Kunst-Stück. Ein reines, weil un-puristisches Stück Neo-Klassik, aus Präzision, kollektiver Virtuosität und a deeper shade of soul zur freigeistigen Komposition gegossen. Ein Sound, der E und U gegeneinander aufhebt, im Leben Platz nimmt und stehen lässt, was zu lieben leicht ist: Musik!

 

Musical Matrix, satt und filigran, verdankt seine Homogenität nicht zuletzt seiner Widersprüchlichkeit, der sozusagen öffentlichen Auflösung scheinbarer Unvereinbarkeiten. Neuartig und gleichzeitig vertraut, wächst die Musik mit jedem Hören, verstoffwechselt weitab von Beliebigkeit und Genre-Verschubladung unterschiedlichste Impulse: Filmscores, die Wiederholsamkeit von Krautrock und elektronischer Musik (ohne die Geräte). This is Pop!, wenn Anmutungen zwischen Bacharach und Radiohead bruchlos mit Satie'scher Minimalistik verlötet scheinen. You name it. Eine geometrische, gelenkige Anmut entsteht, helle Klangfarben, Schattenrisse, Stop/Motion-Momente, Prosa, Lyrisches. Groove! Dass Namen klassischer europäischer Tänze als Songtitel dienen, ist kein Verweis auf das Barock, sondern eine  „formale Klammer“ (Beigang).

 

"Branle“, Opener des Albums, rumpelt, verzerrt im 7/4 Takt mit dickem Kontabassstrich raus ans Tageslicht, wie irgendwas aus Tom Waits' Garage. Ein repetitives Klavierthema in Dur aus fünf Noten, harmonische Hinweise von den Streicherinnen in den Freiräumen: sachlich genaue, organische Pracht. Unangepasstes Zeug von paradoxer Eingängigkeit, das sich prompt überträgt, den Kopf des Hörers in ungeraden Metren nicken lässt, noch ehe er's bemerkt. Beigang: „Die Noten und Rhythmen sind erstmal mathematisch, aber das Ergebnis transzendiert in glücklichen Fällen den abstrakten Ausgangspunkt und erzeugt Gefühl.“ 

 

„Pavane“ tut das mit einer kinderliedartig artikulierten  Klaviermelodie, „Allemande“ mit zwei unterschiedlichen Taktarten und trockenen Schlagzeugsynkopen, mit einem perspektivischen Dreh verbunden und wieder getrennt, wie ein mechanisches Uhrwerk. Das „Menuett“ kommt mit entschlackten Breakbeats und lang ausatmender Streichertextur, „Marche“ entzieht dem Marsch das Knattern, lässt ihn federn. 

 

Präzise, konzentriert und scheinbar mühelos setzt das exzellente Sextett das anspruchsvolle Material um. Gespielt wie aufgeschrieben; no improv, keine technischen Begradigungen: „Echte Menschen!“ (Beigang). Mit zwei, drei Motiven pro Stück, subtil gesetzt, pocht und atmet die kontrapunktisch angeschnittene, schreitende Musik wie aus sich selbst heraus. Oft ist das Drumset des Komponisten die Leitstimme, hält die Musik in den verschachtelten Rhythmen, die ihr Skelett bilden.  

 

Komponiert und arrangiert innerhalb eines Jahres, in einem Guss und in der vorliegenden Reihenfolge, betrachtet Martell Beigang die Platte vor allem als Gesamtwerk, als eine Suite aus zehn Sätzen, die „ … ich hoffentlich bald schon als ganzes Stück aufführen werde.“ Die Gespräche mit verschiedenen Ensembles laufen bereits.

 

ROLF JÄGER.

 

Musical Matrix – Dix Danses Acoustiques

Nina Leonards – Geige

Naomi Binder – Bratsche

Stefan Rey – Kontrabass

Markus Segschneider - Gitarre

Stefan Heidtmann – Piano

Martell Beigang – Schlagzeug, Perkussion, Klavier, Stimme

Kristina Kruttke – Stimme

 

Track Listing:

1    Branle 5:13

2    Pavane 4:11

3    Gaillarde 4:31

4    Allemande 3:48

5    Menuett 3:07

6    Sarabande 3:12

7    Gigue 3:18

8    Marche 4:33

9    Courante 3:37

10  Loure 3:43

Music composed by Martell Beigang

 

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Martell Beigang, *1967 in Ratingen/NRW, Komponist, Multiinstrumentalist, Sänger und Studiomusiker, ist als Drummer ein bunter Hund. Im besten Sinne. 

 

Seit '91 schreibt er deutsche Indierock-Geschichte bei m.walking on the water und stand 2004 mit der Rockabilly-Band Dick Brave & the Backbeats (Popsänger Sasha als Frontmann) und 500.000 verkauften Einheiten an der Spitze der Albumcharts. Spielte Jazz mit Jessica Gall und Dave Liebman, Jazzrock mit Randy Brecker und dem Intergalactic Maidenballet, um sich im nächsten Moment in den Liebespop mit Rosenstolz, die gehobenen Popsongs der Rainbirds und Lassie Singers oder ein Bigband-Essay über Edgar Allan Poe von Klaus König einzufühlen. „Auch, wenn ich als Schlagzeuger oft als Sideman arbeite, höre ich immer den ganzen Song“, erklärt Beigang, „und achte genau darauf, was die Musik von mir braucht, wie sie durch meinen Beitrag besser wird.“

 

Mehr als 100 Alben unterschiedlichster Art profitieren von diesem Einfühlungsvermögen. Dazu eigene Projekte - das Trio Neuzeit etwa mit einer Organ-Jazz-Version von Carl Orffs „Carmina Burana“ (!) oder das frankophile Soloalbum „Martell présente son interprétation personelle du post-pop“ -, und wir erkennen einen Musiker mit Erfahrungshorizont, theoretischer Kompetenz und kreativem Gehör, den es braucht für einen freien Kunst-Crossover-Ansatz mit ordentlich Amplitude, wie Musical Matrix

 

Neben der Arbeit in seinem musikalischen Multiversum ist Beigang seit 2007 auch erfolgreicher Schriftsteller (2021 erschien „Musik ist King“)